Ägypten: Kairo
In Kairo gönne ich mir ein paar Tage Auszeit vom Radeln, lasse die intensiven Eindrücke auf mich wirken und besichtige die beeindruckenden Pyramiden und das Nationalmuseum…
27.10.15, Ain Sokhna – Wüsten-Rastplatz, 58 Kilometer
28.10.15, Wüsten-Rastplatz – Kairo, 84 Kilometer
29.-31.10.15, Kairo
Kursänderung
Ursprünglich hatte ich nicht vor, nach Kairo zu fahren. Warum nicht? Tja, es wäre in der Tat sehr schade gewesen, dieses einmalige Biest von einer Stadt zu verpassen. Aber zum einen war ich abgeschreckt von dem immer wieder als völlig wahnwitzig beschriebenen Verkehr und zum anderen waren die einigermaßen verheißungsvoll erscheinenden Optionen, um von Kairo aus weiter nach Süden zu kommen, sehr überschaubar. Ein Permit für die Westliche Wüste gibt es nur für Tagestouren. Und das Niltal entlang? Jeder, den ich bisher gefragt hatte, riet davon ab. Zu gefährlich. Viel zu viel Polizei. Also sah mein ursprünglicher Plan vor, weiter am roten Meer entlang zu fahren und dann durch die Wüste nach Luxor.
Aber Pläne sind ja bekanntlich dazu da, um über den Haufen geworfen zu werden. Ich habe gerade ein richtiges Tief, irgendwie keinen Bock mehr weiterzufahren. Da kommt mir die Einladung, ein paar Tage bei meiner Cousine in Kairo auszuspannen, doch zu verlockend vor. Also spontane Kursänderung, Segel gesetzt, und – ach nee, das mit dem Segel lass ich lieber. Gegenwind, immer noch. Ich bin auf dem Wüsten-Highway von Ain Sokhna nach Kairo, mache Mittagspause an dem einzigen Rastplatz auf der Strecke. Ich habe wirklich einfach keine Lust mehr auf Gegenwind, und da ich mich ohnehin erst für den nächsten Tag in Kairo angekündigt hatte, mache ich einfach hier Schicht. Als Schlafplatz dient mir die Moschee, die sich hinter den Gebäuden der vom Militär betriebenen Raststätte befindet. Auch mal was Neues.
Highway to hell
Am nächsten Tag wird der Verkehr langsam immer dichter, den Straßenrand säumen hier und dort kleine Statuen, Blumen werden gepflanzt, man gibt sich Mühe, den Weg nach Kairo ein wenig einladend wirken zu lassen. Die Realität holt einen trotzdem schnell genug wieder ein, am Horizont bereiten einen die Silhouetten von Bauruinen schon einmal schonend auf das vor, was einen in dem 16-Millionen-Einwohner-Moloch tatsächlich erwartet. Ich lande auf der Ring-Road, drei Spuren, vier, fünf? Schwer zu sagen, wenn man gerade von einem klapprigen Daihatsu überholt wird, der sich von einem Minibus nach rechts drängen lässt, weil daneben ein LKW und ein Reisebus nebeneinander Durchlass verlangen. Mein Schutzengel zeigt mir einen Vogel, weist empört jegliche Verantwortung von sich und geht Tee trinken. Ein paar wagemutige Motorradfahrer sortieren sich in die spärlich vorhandenen Lücken ein und grinsen mich an. Einer telefoniert, es ist mir ein Rätsel, wie der bei dem Krach überhaupt was versteht. Von der Hupe wird allgemein gern und reichlich Gebrauch gemacht. Verschlüsselte Morse-Botschaften schwirren durch die Abgas geschwängerte Luft und ich versuche die Hup-Signale zu interpretieren. Sie sagen: „Tach auch, alles klar?“ Oder: „Junge, ich überhole hier ohne Rücksicht auf Verluste, das ist dir schon bewusst, oder?!“ Und: „Geil, ich habe eine Hupe!“. Bald biege ich von der Ring Road ab, auf eine ruhigere Straße. Gerade rechtzeitig, bevor dem Schutzengel beim Tee langweilig wird und er anfängt, auf meinen bis zum Zerreißen gespannten Nerven die ägyptische Nationalhymne zu zupfen.
Die Ring Road ist aber dann verkehrstechnisch tatsächlich auch die größte Herausforderung, der Rest des Weges ist durchaus machbar, und so komme ich wohlbehalten und nur maßvoll in Angstschweiß gebadet bei meiner Cousine an.
The beauty of the beast
Kairo ist einfach unbeschreiblich. Unbeschreiblich laut, unbeschreiblich chaotisch, dreckig, heruntergekommen, unfertig. Ganze Stadtteile bestehen aus gespenstigen Rohbau-Ruinen, teilweise leer stehend, teilweise aber auch bewohnt, wie sich anhand der hier und dort vor den Fenster-Löchern zum Trocknen aufgehängten Wäsche erahnen lässt. Ich mache eine kleine Rundtour mit dem Fahrrad zu den Pyramiden von Sakkara und Gizeh und fahre durch sandige, staubige Straßen, die diesen Namen ob ihres desolaten Zustandes eigentlich nicht verdienen. Es wimmelt von hupenden Tuk-Tuks und Motorrädern, die durch Schlaglöcher holpern und Staubwolken aufwirbeln, dazwischen hasten Fußgänger umher, Esel schreien, ziehen Karren, mit denen bergeweise Bambus, Obst oder Gas-Flaschen transportiert werden. Die Luft riecht nach Abgasen und kokelndem Plastik, überall brennt der Müll. Ziegen suchen in den Abfallbergen nach Essbarem, streunende Hunde nagen an weggeworfenen rohen Hähnchenschenkeln mitten auf der Straße. Aus zahllosen Lautsprechern schallt völlig übersteuerte arabische Musik. Diese Stadt ist ein Sturm-Angriff auf alle Sinnesorgane.
Die schöne Seite der Stadt zeigt sich noch am ehesten downtown, im modernen Stadtzentrum um den Tahrir-Platz herum. Hier dominiert französische und britische Architektur aus dem späten 19. Jahrhundert. Am Tahrir-Platz befindet sich auch das riesige ägyptische Museum, welches bis obenhin vollgestopft ist mit Kunstwerken der altägyptischen Kulturgeschichte. Unter anderem können hier die Schätze aus dem Grab des Tutenchamun und Mumien von Pharaonen aus der Zeit des Neuen Reichs, also von rund 1500 bis 1000 v. Chr., bestaunt werden.
Besonders lebendig und aus dem Alltag der Ägypter nicht wegzudenken sind die lokalen Märkte und Bazare, durch die ich so gerne schlendere und einfach das bunte Treiben beobachte. Je nachdem wo es einen hin verschlägt, gibt es z.B. auf dem Markt nordöstlich des Tahrir-Platz nützlichen Alltagsbedarf und Lebensmittel, oder auch allen nur erdenklichen Schund zu erstehen, so z.B. auf dem lokalen Teil des Khanel Khanili im fatimidischen Kairo. Besonders interessant finde ich immer wieder das äußerst ausgefeilte und durchdachte Sortiment einiger Verkäufer. Auf einem kleinen Tisch am Straßenrand bietet einer neben Gummi-Lenkrollen noch Universal-Fernbedienungen an. Vielleicht für den Fall, dass jemand mal ein ferngesteuertes Rollbrett bauen möchte. An einem anderen Stand kann man passend zu einem schicken Hemd gleich noch ein 20er-Pack Gummidichtungen für Wasserhähne mitnehmen. Ganz nah am Kunden halt.
Die berühmten Pyramiden von Gizeh, etwa 15 Kilometer außerhalb von Kairo gelegen, sind in der Tat absolut beeindruckende Bauwerke. Rund 4500 Jahre alt, von monumentaler Größe, und damals schon mit einer verblüffenden Präzision gebaut. Die Seitenlängen der Cheops-Pyramide mit einer Grundfläche von 230 x 230 Metern weichen gerade einmal vier Zentimeter voneinander ab! Ein bisschen üben musste man dafür allerdings schon: Von Gizeh aus kann man bis nach Dashur gucken, hier steht die Pyramide des Snofru, die anfänglich mit einer zu großen Steigung gebaut wurde, wodurch es zu Stabilitätsproblemen kam. Ab ca. der Hälfte wurde deshalb mit einem geringeren Neigungswinkel weitergebaut, so dass die Pyramide nun einen deutlichen Knick hat.
Die Qual der Wahl
Nachdem ich mich nun hier in Kairo habe rundum versorgen und verwöhnen lassen, bin ich bereit für die nächste Etappe. Bloß wie fahre ich denn jetzt weiter? Ich könnte trotz der Restriktionen versuchen, durch die westliche Wüste zu kommen. Einer meiner Kontakte in der ersten Oase auf dieser Strecke meint, wenn ich es schaffen würde, die Beamten am letzten Checkpoint vor der Wüste, in der 6th of October City, zu bequatschen, würde mich danach wohl niemand mehr aufhalten. Aber nach den vielen Tagen der Ödnis auf dem Sinai ist es mir gerade irgendwie nicht nach Wüste. Davor, zum roten Meer zurückzufahren, graut es mir allerdings auch. Da ist Langeweile pur vorprogrammiert, es hat für mein Empfinden mit dem lebendigen, pulsierenden Ägypten einfach nichts zu tun. Nach dem kurzen Stück entlang des Nils, welches ich auf dem Weg Richtung Süden zu den Pyramiden von Sakkara schon zurückgelegt habe, reizt mich das Niltal einfach am meisten. Für Asyut habe ich auch schon einen Couchsurfing Host, zumindest eine sichere Übernachtung ist damit schon mal organisiert. Und der Rest wird sich ergeben. Also, auf durchs Niltal nach Luxor!
Doninik,
Du radelst, wir lesen!
Also bitte weiter so mit Deiner Reise und bitte genau so weiter schreiben!
Gespannt verfolgende Grüße aus Sülz.
Ralfo und seine Mädels