Sudan: Der Süden
Im Süden des Sudan verändert sich langsam aber sicher die Landschaft, es wird deutlich grüner und nach ein paar Querelen an der Grenze bin ich schließlich in Äthiopien…
Misslungenes Manöver
Von Khartoum aus fahre ich auf der Westseite des Blauen Nils in Richtung Süden. Langsam verebbt der Verkehr ein wenig, die Bebauung geht zurück, schließlich bin ich wieder auf dem Land. Trotzdem sind hier noch zahlreiche Trucks und Busse unterwegs und die Straße ist schmal. Der Asphalt bricht zur Seite hin einfach ab, einen Seitenstreifen gibt es nicht. Immer wieder werde ich sehr knapp überholt. Das wird mir langsam ein bisschen zu brenzlig und ich halte nach einer anderen Möglichkeit Ausschau. Mein so hilfreicher Rückspiegel ist in Ägypten irgendwo zwischen Qena und Luxor den zahlreichen ruppigen Pickup-Transporten zum Opfer gefallen, und so muss ich mich auf mein Gehör verlassen. Von vorne nähert sich ein Reisebus mit Vollspeed, interessanterweise sind die Reisebusse hier mit Abstand die schnellsten Fahrzeuge auf den Straßen. Dafür klingen sie auch wie eine Kreuzung aus Panzer und Düsenjet. Viele fahren mit offener Motorhaube am Heck um eine Überhitzung der Maschine zu verhindern. Von hinten höre ich einen sich nähernden LKW. Hoffentlich treffen die sich nicht genau auf gleicher Höhe mit mir, dann wird’s eng. Während ich noch überlege ob ich lieber einen Absprung in den Straßengraben machen soll, haben mich beide Fahrzeuge schon erreicht. Zu spät. Der LKW kommt im ehrenwerten Bemühen, genug Abstand zu mir zu halten, etwas zu weit nach links, der Bus rast heran, ein lauter Knall, tausende kleine Splitter fliegen mir um die Ohren. Irgendwas holpert scheppernd an mir vorbei. Der Spiegel! Der Bus hat den Außenspiegel des LKW erwischt! Gott sei Dank, nichts Schlimmes passiert. Ein paar hundert Meter weiter vorne fährt der LKW rechts ran. Der Bus ist längst weg. Ich habe ein schlechtes Gewissen – wäre ich hier nicht so dämlich rumgegurkt, wäre dieser kleine Unfall nicht passiert. Ich halte neben dem LKW an, frage: „Alles ok, kann ich irgendwie helfen?“ Die beiden Fahrer inspizieren gerade das verbogene Gestänge und die Reste des abgerissenen Spiegels. Sie winken ab, beachten mich kaum. „Mafish mushkillah – kein Problem…“, nuschelt der eine, während er versucht das Gestänge wieder halbwegs zurecht zu biegen. Na dann, ich kann hier wirklich nicht weiterhelfen, also schwinge ich mich wieder in den Sattel.
Fast wie Frühling
Ein paar Kilometer weiter beginnt parallel zur Straße eine kleine Dirt-Road, auf der ab und zu Esel-Karren und Tuk Tuks unterwegs sind. Ab jetzt weiche ich wann immer möglich auf diese Dirt-Road aus. Mein frisch gereinigter Antrieb ist zwar nach wenigen Kilometern wieder komplett mit Staub zugesetzt, aber was soll’s, safety first.
Ein Blick nach links und rechts verrät mir eindeutig: Ich bin aus der Wüste raus! Langsam aber sicher wird es immer grüner, Akazien und sonstiges dorniges Gestrüpp geben nur ab und zu die Sicht auf eine weite, flache, steppenartige Landschaft frei. Ab und zu schimmern kleine schlammige Tümpel durch das Dickicht, hier und da überzieht sogar grünes Gras den ansonsten immer noch sehr trockenen Boden. Winzige bunte Schmetterlinge flattern zwischen den dornigen Ästen umher. Und da ist noch etwas, irgendetwas nagt in meinem Unterbewusstsein, irgendwas ist anders. Na klar, die Luft! Sie riecht wieder nach etwas! Nach Pflanzen und frischem Grün! Das ist ja fast wie Frühling zu Hause! Fast.
Meine neuen Freunde die Kühe
Die gesamte Gegend hier ist deutlich dichter besiedelt als der Norden. Überall gibt es kleine Dörfer, Felder, brachliegende Äcker. Egal wie abgelegen die Ecke, die ich mir für mein Zelt aussuche – weit weg von der Straße, hinter ein paar Akazien – auch erscheinen mag, irgendwie steht dann doch plötzlich immer irgendein Kuhhirte mitten in der Nacht neben meinem Zelt und leuchtet mir mit der Taschenlampe ins Gesicht, während seine Herde ungehalten muhend auf ein baldiges Weiterziehen zu saftigeren Weidegründen drängt. Manchmal gefällt es den Kühen neben meinem Zelt aber auch ausgesprochen gut, ihre Zustimmung äußern sie gleichermaßen lautstark und machen es sich gemütlich. Aber irgendwie hat es etwas friedliches, ich fühle mich wohl.
Vor Wad Medani lande ich am späten Nachmittag in einem kleinen Dorf, bald setzt die Dämmerung ein und ich habe keine Lust mehr weiterzufahren. Ich entdecke eine Tankstelle mit einem kleinen Bauernhof daneben, beides scheint zusammen zu gehören. Ich frage die Leute dort, ob ich eventuell mein Zelt bei dem Bauernhof hinter einem Mäuerchen aufstellen darf. Wie immer werde ich sehr nett aufgenommen. Zur Begrüßung bekomme ich erst einmal ein Alukännchen mit frisch gemolkener Milch zu trinken. Man ist ganz stolz, mir diese Delikatesse anbieten zu können, und ohne drei dieser Kännchen geleert zu haben, komme ich den Leuten hier nicht davon. Die Frage nach dem Abendessen wäre damit auch beantwortet. Ich brauche keins mehr, bin pappsatt. Später muhen mich die Kühe in den Schlaf. Vielleicht wollen sie wissen, wie ich ihre Milch fand. Gut, doch echt, war lecker!
Die schiefe Lokanda von Saraf Said
Der Weg Richtung äthiopischer Grenze führt mich über Wad Medani und Gedarif. Richtig schnell komme ich nicht voran, dank der zahlreichen Einladungen, die mich immer wieder zu ausgiebigen Stopps „zwingen“. Bei einem weiteren Bauernhof zum Abendessen. Zum Frühstück an einer Werkstatt. Unzählige Male zum Tee am Wegesrand oder in einer Lokanda. Etwa 70 Kilometer vor der äthiopischen Grenze mache ich mittags halt an der bisher wohl rudimentärsten und rustikalsten Lokanda im ganzen Sudan. Ein paar jeden statischen Gesetzmäßigkeiten trotzende, schiefe und knorrige Äste stützen ein löchriges Dach aus Pappe und Stroh, unter dem sich lose verstreut zwei Liegen und ein paar niedrige Schemel um einen völlig verbeulten und rostigen Metall-Tresen verteilen. Aus nicht minder misshandelten bauchigen Alugefäßen, die in der Ecke in der Glut liegen, gibt es irgendeine schleimige Fleischsoße mit Brot. Schmeckt gar nicht mal schlecht. Nach dem Essen lege ich mich auf eine der Liegen, ziehe meine Mütze ins Gesicht und lasse für eine halbe Stunde den lieben Gott ein guten Mann und die Fliegen ein nerviges Dreckspack sein.
Das Mysterium mit der Registrierung
Bevor ich am nächsten Morgen die letzten 20 Kilometer bis zur Grenze angehe, muss ich noch mal an mein Hinterrad ran. Der Riss im Reifen, den ich schon vor Khartoum entdeckt hatte, ist größer geworden, mittlerweile beult sich der Reifen richtig aus und lässt das ganze Rad eiern. Erstens macht es so wirklich keinen Spaß zu fahren und zweitens will ich nicht riskieren, dass der Mantel komplett reißt und der Schlauch platzt. Den brauche ich nämlich noch. Also ziehe ich morgens schnell – mittlerweile bin ich ja routiniert – meinen Ersatz-Faltreifen auf, den ich im Gepäck dabei habe. Dann kann es weitergehen.
Den alten Reifen nehme ich mich. In Gallabat an der Grenze angekommen, schaffe ich es tatsächlich noch, das Ding gegen ein üppiges Frühstück einzutauschen. Während ich Foul und Falafel mampfend in einer Hütte sitze, haben mich schon die ersten Geldwechsler entdeckt und setzen sich zu mir. Sie hätten einen sehr guten Kurs zu bieten. Natürlich, klar. Den besten. Nur für mich. Was sonst. Ich gebe mich unbeeindruckt, ich hätte schon genug äthiopische Birr von einem Freund, behaupte ich, ich bräuchte nichts. Aber die Typen lassen sich nicht so leicht abwimmeln. „Wir geben dir 21 Birr pro Dollar“, sagt der eine, „aber nur wenn du mindestens 100 Dollar tauscht.“ Ich lache ihn aus, schlucke meinen letzten Bissen runter und gehe. 21 Birr pro Dollar ist der offizielle Kurs, da kann ich genauso gut das Geld in Äthiopien am Automaten ziehen. Draußen kommt schon der Nächste ein großes Business witternd auf mich zu. „Die da drinnen geben mir 25.“ behaupte ich. „Neeeiiin!“, er macht erschrocken große Augen, „unmöglich!“.
Wir einigen uns schließlich auf 23 Birr und ich tausche 50 Dollar. Als wir fertig sind und ich das fette Bündel mit 50-Birr-Scheinen sicher verstaut habe, winkt mich ein anderer Typ, der entspannt auf einem Mäuerchen sitzt, zu sich herüber. Fast so groß wie ich, was hier äußerst selten ist, breite Schultern, offenes Camouflage-Hemd über schwarzem hautengen T-Shirt, Baseball-Cap. Was will der jetzt wieder? „Come, customs!“, er winkt noch einmal. Ich bin etwas verunsichert, das kann ja jeder behaupten, irgendwie offiziell sieht der Kerl nicht aus. Doch da entdecke ich einen Ausweis, der an einer Kordel um seinen Hals baumelt. Lesen kann ich natürlich nichts. Aber auch der Geldwechsler nickt mir zu: „Officer – You go with him.“
In der Tat führt mich der Beamte hilfreich durch die verschiedenen, über das gesamte Gelände verstreuten Büros, passt auf mein Fahrrad auf, während hier meine Pass-Daten aufgenommen werden, dort noch einmal der Pass kontrolliert wird, ich schließlich an einem Schalter den Ausreisestempel bekommen soll. Hier hakt jetzt aber irgendwas. Mein Pass wandert durch verschiedene Hände, irgendwas wird diskutiert, immer wieder auf die Seite mit dem Sudan-Visum gezeigt. Ich ahne es schon: Es geht um die Registrierung.
Die Informationen des Auswärtigen Amts besagen, dass man sich drei Tage nach der Einreise im Sudan noch einmal offiziell registrieren lassen muss, z.B. bei einer Polizei-Station. Auch auf dem Visum gibt es ein kleines Feld, in dem steht „Registration within 3 days“. Als ich in Wadi Halfa mit der Fähre landete, waren zwei Beamte an Bord gekommen, die mir den Einreisestempel in den Pass drückten, und einen weiteren kleinen Stempel – natürlich auf arabisch – genau auf das „Registration“-Feld. Deswegen hatte ich gefragt: „Was heißt das? Muss ich mich jetzt noch registrieren oder nicht?“ „Nein, nein, musst du nicht, alles ok.“ hatten mir die Beamten versichert. In Khartoum behauptete dann aber der Betreiber des Hostels, dass dieser kleine Stempel mit der Registrierung nichts zu tun habe und nur bedeute, dass ich hier nicht arbeiten darf. Die Registrierung in Khartoum koste 400 Pfund, knapp 40 Euro. Ja am Arsch, dachte ich, bisher hat an keinem Checkpoint, bei keiner Passkontrolle ein Hahn nach dieser Registrierung gekräht, da werde ich jetzt sicherlich nicht 40 Eier für diesen Quatsch verpulvern. Ich wollte es also drauf ankommen lassen.
Hier, bei der Ausreise, wird es jetzt aber tatsächlich zum Problem. Ein Beamter kommt mit meinem Pass auf mich zu, zeigt auf das Visum und sagt barsch: „Du hast keine Registrierung!“ Jetzt muss ich gut schauspielern. Ich gucke ganz erstaunt: „Doch klar, guck hier!“ und zeige auf den kleinen Stempel. Nein, keine Registrierung, sagt der Beamte, aber keine Sorge, ich könne die Gebühr hier bezahlen, 400 Pfund. Jetzt packe ich die Geschichte mit den Beamten auf dem Schiff in Wadi Halfa aus und behaupte, ich hätte die 400 Pfund schon dort bezahlt. Mein Gegenüber schaut mich mit zusammengezogenen Augenbrauen prüfend an, verschwindet in einer der Glaskabinen, diskutiert mit einem anderen Beamten. Dann kommt er wieder: „400 Pfund!“ wiederholt er energisch und tippt die Zahlen noch mal zur Sicherheit in einen Taschenrechner, den er mir anschließend unter die Nase hält. Wir diskutieren noch ein bisschen hin und her, ich weigere mich hartnäckig zu bezahlen, aber so komme ich nicht weiter. Irgendwie kommt mir das mit dieser Registrierung alles etwas spanisch vor, und ich will testen, wie weit ich gehen kann. Also bluffe ich und hole mein Handy hervor. „Ok, das bringt so nichts“, sage ich und beginne irgendeine Fantasie-Nummer in mein Telefon zu tippen, „ich rufe meine Botschaft an, die werden wissen, was zu tun ist.“ Der Beamte reagiert nicht. Hmm, das wird eine lange Telefonnummer. Ich tippe weiter und schiele aus dem Augenwinkel zu dem Beamten herüber. Immer noch keine Reaktion. Gut, ich tue so, als würde ich anrufen und halte mir das Handy ans Ohr. „Ok ok, wait“, sagt der Typ hastig und schnappt sich wieder meinen Pass. „Sit down!“. Ich bringe alle Kraft auf, um ein breites Grinsen zu unterdrücken und pflanze mich auf eine der Holzbänke im Vorzimmer. Dort lassen sie mich jetzt zur Strafe zwanzig Minuten schmoren, aber irgendwann ruft einer aus dem Glaskasten: „Ok, Mister!“ Ich stehe auf, er haut mir den Ausreisestempel in den Pass, pfeffert ihn auf die Theke und würdigt mich keines Blickes. Na geht doch, denke ich und schlendere nach draußen, wo der Breitschultrige tatsächlich immer noch geduldig neben meinem Fahrrad herumlungert. „Finish?“ fragt er. „Yeah, finish!“ antworte ich gut gelaunt.
Ich frage mal was alle wissen wollen: was ist den jetzt der Stand der Dinge.
Ich drücke hier jetzt schon so lange die Daumen, ich bin bald zu nichts mehr zu gebrauchen!!
Alles Gute
Lieber Dominik.
Du bist ja echt irre. Aber ich bewundere deinen Mut und hoffe dass du irgendwie weiter kommst.
GOTTES SEGEN
Liebe Grüße
Hallo Dominik,
ich hoffe, die Malaria ist überstanden und Du hast ein neues Fahhrrad, wenn Du Hilfe brauchst und ich etwas für Dich erledigen kann hier in Deutschland, dann sag mir gerne Bescheid.
Fahr weiter!
Hoffe, Du hattest eine schöne Weihnacht.
Ich wünsche Dir ein erfolgreiches Jahr 2016
Thomas
Lieber Dominik,
wir hoffen sehr, dass Du inzwischen einen guten Ersatz für das gestohlene Fahrrad gefunden hast (am besten wäre es natürlich, Du hättest Dein eigenes Fahrrad zurückbekommen) und wünschen Dir, dass Du den Jahreswechsel gesund verlebst und Deine Reise 2016 ohne größere Probleme fortsetzen kannst.
Alles Gute für ein glückliches neues Jahr wünschen Dir
Renate und Uwe Petersen
Ich sag nur: Cojones!
Ha Ha….du altes Schlitzohr 🙂