Sudan: Die Hauptstadt Khartoum
25.-28.11.2015: Der Versuch, in Khartoum ein paar Tage Erholung zu erhaschen scheitert gründlich, aber immerhin habe ich mein Visum für Äthiopien in der Tasche und bin um die Erfahrung einer traditionellen Sufi-Feier reicher…
Der nörgelnde Europäer
Das Wüstenklima der vergangenen Tage mit dem heißen, trockenen Wind, dem Staub in der Luft und den eiskalten Nächten hat mir doch etwas zugesetzt und ich habe mir tatsächlich eine Erkältung eingefangen. So will ich mir in Khartoum ein paar ruhige Tage gönnen und mich erholen, bevor ich weiterfahre. Ich muss aus diesem Wind raus, deswegen entscheide ich mich dagegen, im unter Overlandern bekannten Blue Nile Sailing Club mein Zelt aufzuschlagen. Stattdessen quartiere ich mich im Youth Hostel ein. Ein bisschen habe ich ja doch gelernt auf meiner Reise und so lasse mir Zimmer, Bad und Küche zeigen, bevor ich mich mit dem ‚Manager’ auf einen Preis einige. Puh. Mal wieder ein Drecksloch, aber was habe ich anderes erwartet. Auf 40 Pfund, etwa 3,70 Euro pro Nacht kann ich den Preis drücken, viel Spielraum gibt es nicht. Was man dafür bekommt? Ein Dach über dem Kopf. Fließendes Wasser, manchmal ist es auch warm, wenn man Glück hat und der altersschwache Boiler, der mit zwei handverdrillten, unisolierten Drähten angeschlossen ist, zufällig Lust hat, anzuspringen. Bettwäsche, die ganz klar länger nicht gewechselt wurde, fleckig, schmuddelig. Eine Toilette mit undichtem Abfluss. Betätigt man die Spülung läuft die Hälfte der Scheiße auf den Boden. Mein Programm steht: So schnell wie möglich das Visum für Äthiopien besorgen, Fahrrad warten, fit werden, weg hier. Das mit dem fit werden könnte sich eventuell etwas schwieriger gestalten…
Eine Sache geht mir zugegebenermaßen gehörig auf den Sack seit ich in den arabischen Ländern unterwegs bin, beginnend in Jordanien. Es ist nicht in erster Linie die Tatsache, dass so Vieles im Arsch, dreckig, heruntergekommen und zugemüllt ist. Es ist die Tatsache, dass diese Zustände meiner Meinung nach häufig nicht unbedingt etwas mit der schwierigen bis desolaten wirtschaftlichen Situation zu tun haben, sondern zuerst einmal mit einer überaus dominanten Scheißegal-Einstellung, die ich mir hier mal erlaube, einigen Leuten zu unterstellen. Sofern diese Typen, an vorderster Front Betreiber von Unterkünften jeglicher Couleur, in irgendeiner Art und Weise Lust auf ein bisschen Arbeit verspüren sollten, so sind sie unglaublich gut darin, dies nachhaltig zu verbergen. Es wäre so einfach, die eine oder andere Absteige in ein halbwegs akzeptables Nachtquartier zu verwandeln, und es würde keine bis auch für hiesige Verhältnisse nicht erwähnenswerte Summen erfordern, dies zu tun. Mal hier eine Schraube anziehen, damit die Tür zum Zimmer nicht völlig schief in den Angeln hängt und sich wieder schließen lässt. Dort mal eine Dichtung austauschen – siehe oben. Mal einen Mülleimer aufstellen, damit die Gäste ihren Mist nicht einfach in die Ecke schmeißen. Ab und zu mal ein bisschen sauber machen. Aber ok, ich höre schon auf zu nörgeln. Ist ja grässlich. Ich merke selbst, wie ich gerade den verwöhnten Europäer raushängen lasse, der mal eben, weil ihm kurz langweilig war, ne Runde durch Afrika tingeln will, und jetzt, da es gerade anfängt ein bisschen anstrengend zu werden, meint, seine eigenen Maßstäbe anlegen zu müssen. Was rege ich mich denn auf? Ab in den Dreck, genau das wollte ich doch, oder?
Haustiere
Ich bin also wie gesagt von den letzten Tagen ziemlich geplättet und schlafe abends schnell und tief und fest ein. Irgendwann mitten in der Nacht werde ich wach, weil ich aufs Klo muss. Danach wieder einzuschlafen fällt mir schwer. Irgendwie habe ich die ganze Zeit das Gefühl, bekrabbelt zu werden. Alles juckt, besonders unten am Rücken. Ach was, bestimmt bilde ich mir das Ganze nur ein, weil ich diese Bettwäsche so fies finde… Ich versuche mich zu entspannen, aber den Rest der Nacht werde ich immer wieder wach und kratze mich wie wild.
Mäßig ausgeschlafen mache ich mich am nächsten Morgen zu Fuß auf zur äthiopischen Botschaft und gönne mir auf dem Weg ein ordentliches Falafel-Frühstück. Die Beschaffung des Visums geht viel schneller als gedacht, ich bekomme das Dokument direkt vor Ort ausgestellt, insgesamt drei Stunden verbringe ich in der Botschaft. Kostenpunkt: 60 US-Dollar für ein 3-Monats-Visum, Single Entry. Zeit en masse. Zurück im Hostel habe ich einen neuen Zimmer-Genossen, ein spanischer Backpacker, der gerade aus Äthiopien kommt. Wir verstehen uns auf Anhieb super und können uns gegenseitig mit Infos über unsere jeweils bevorstehende Reiseroute versorgen, quatschen den Rest des Nachmittags und tauschen Erfahrungen aus. Abends setze ich mich an mein kleines Notebook und beginne ein paar Fotos zu sortieren. Lange halte ich aber nicht durch, ich bin immer noch angeschlagen und die letzte Nacht war auch nicht unbedingt dazu angetan, meinem Zustand einen entscheidenden Impuls in Richtung Besserung angedeihen zu lassen. Also haue ich mich hin.
Ich schlafe unruhig vielleicht eine Stunde, dann werde ich wieder von irgendetwas wach. Mittlerweile bin ich doch ein bisschen paranoid, was dieses Bett angeht. Angespannt achte ich auf jedes noch so kleine Kribbeln und Pieksen. Da! War da was? Am Bein? Nee, quatsch. Doch da wieder! Da krabbelt was. Jetzt am Arm. Jetzt juckt es am Rücken. So geht das die ganze Nacht. Ich tue kein Auge zu. Irgendwann, es ist etwa vier Uhr morgens, wird es mir zu bunt, ich schnappe mein Notebook und setze mich in den kahlen, gefliesten Aufenthaltsraum neben der Küche. Schlafen kann ich eh nicht, da kann ich die Zeit genauso gut zum Schreiben nutzen. Ich koche mir auf dem vor Dreck starrenden Gasherd einen Kaffee. Zwischendurch begutachte ich meinen Rücken: Rote, teilweise schon blutig gekratzte Bisse, links und rechts auf Hüfthöhe, bestimmt fünfzehn Stück. Flöhe. Na ganz toll. Nach einer ausgiebigen Dusche ist immerhin das Krabbeln weg. Nur die Bisse jucken noch. Ich setze mich wieder an den Rechner und schreibe ein paar Zeilen, aber irgendwann übermannt mich die Müdigkeit…
Als mein Bettnachbar in den Aufenthaltsraum geschlurft kommt schrecke ich hoch. Ich bin mit dem Kopf auf dem Tisch eingepennt. Draußen ist es bereits hell. „Nicht gut geschlafen, was?“, kommentiert er amüsiert meinen im ersten Moment wohl etwas orientierungslos wirkenden Gesichtsausdruck. „Doch doch, ganz hervorragend!“, nuschele ich und wische mir schnell ein bisschen Sabber aus dem Mundwinkel. Ich schaue auf die Uhr von meinem Notebook: 08:15 Uhr. Gar nicht mal so schlecht, zwei Stunden auf der Tischplatte gepennt. Besser als nix, ne? Für den Nachmittag hatten wir verabredet gemeinsam zu einer traditionellen Sufi-Feier bei der Hamed-al-Nil Moschee in Omdourman zu gehen. Diese jeden Freitag stattfindende religiöse Feier mit ausgelassenem Tanz gilt als ein Highlight in Khartoum. Bis dahin muss ich aber noch ein bisschen was erledigen: Bremsbeläge wechseln, den Antrieb gründlich vom klebrigen Wüstenstaub befreien, den Reifen am Hinterrad inspizieren. Bei der Reparatur eines Plattens irgendwo in der Wüste kurz hinter el Multaga hatte ich einen Riss in der Flanke des Reifens entdeckt. Ich will schauen, ob er sich vergrößert hat und ob ich was dagegen unternehmen kann. Also an die Arbeit.
Ab und zu ein bisschen Ekstase braucht der Mensch
Wir schlendern vom Hostel zu Fuß in Richtung Innenstadt, die Straßen sind wie ausgestorben, alle Geschäfte dicht, Rollläden unten, außer uns kaum ein Mensch unterwegs. Klar, Freitag Mittag, die Leute sind alle beim Gebet. Gegen halb drei belebt sich das Viertel um die al Waha Mall so langsam wieder und wir können etwas zu essen ergattern und genießen auf kleinen, mit dicken, bunten Kordeln bespannten Schemeln sitzend einen frisch gebrühten Kaffee mit Kardamom. Anschließend nehmen wir ein Taxi nach Omdourman. Der Fahrer muss immer wieder anhalten und nach dem Weg zur Moschee fragen. Irgendwann rumpelt das Taxi Staubwolken aufwirbelnd über einen schmalen, buckligen Weg, der einen riesigen Friedhof in zwei Hälften teilt. Mit den zahllosen kleinen Grabsteinen, die allesamt schief in dem schmucklosen braunen Erdboden stecken, wirkt das Ganze aus der Entfernung ein bisschen wie eine überdimensionale, mit Glasscherben bewehrte Mauerkrone. Am Horizont am Ende des Weges tauchen langsam drei goldene Kuppeln auf, dann das gesamte Gebäude, die kleine Moschee, in der sich das Grab des Hamed al-Nil befindet. Hamed al-Nil war im 19. Jahrhundert ein bedeutender Anführer des Sufismus, einer spirituell und asketisch orientierten Strömung des Islam. Die Sufi, Anhänger dieser Strömung, versammeln sich hier jeden Freitag an seinem Grab, um durch emotionale Hingabe eine besonders innige Verbindung zu Allah aufzubauen und auf diesem Wege um Vergebung ihrer Sünden zu bitten.
Als wir die Moschee erreichen, ist der große Platz davor schon reichlich belebt, Menschen wuseln umher oder stehen in Grüppchen beisammen und unterhalten sich, Mikrofone werden aufgebaut, Lautsprecher ausgerichtet. Rings um den Platz gruppieren sich kleine Sitzgruppen und Stände, an denen Tee, Kaffee und Snacks angeboten werden. Immer wieder werden wir angesprochen und eingeladen, uns zu einer Gruppe von Leuten dazuzusetzen, von uns zu erzählen. Andersherum gibt uns das die Gelegenheit, ein bisschen mehr über die Hintergründe der bevorstehenden Feier zu erfahren. Überhaupt sind die Leute hier überaus aufgeschlossen, in keiner Weise haben wir das Gefühl, ein Fremdkörper in dieser intimen, religiösen Atmosphäre zu sein. Im Gegenteil, man scheint sich aufrichtig darüber zu freuen, dass wir uns für dieses Ereignis interessieren.
Während wir noch mit einer Gruppe von Studenten zusammensitzen, hören wir vom Platz her beginnendes Trommeln und Singen, und so gehen wir langsam herüber, um zu sehen, was dort passiert. Ein Teil der Besucher hat einen kleinen Kreis gebildet, in dem drei weiß gekleidete Männer mit Trommeln umhergehen, alle wiegen sich leicht im Takt der Musik. Nachdem die Trommler ein paar Runden gedreht haben betreten Männer in grünen Roben mit roten Krägen und Bordüren den Kreis. Es scheint sich dabei um Autoritätspersonen des Sufi-Glaubens zu handeln, denn die Männer sorgen mit unbewegter, würdiger Miene und sachten Gesten dafür, dass sich der Ring der Umstehenden langsam vergrößert, bis der gesamte Platz vor der Moschee frei und von Menschen umgeben ist.
Die untergehende Sonne taucht die Szenerie in ein gedämpftes, feierlich warmes Licht. Von den umliegenden Ständen strömen nun auch die restlichen Besucher herbei, nun beginnt die eigentliche Feier. Sänger und Trommler treten vor die Mikrofone, die restlichen Teilnehmer stimmen mit ein, die immer wiederkehrend gesungenen Zeilen „Elah Illah Allah“ – „es gibt keinen Gott außer Allah“, die Trommelrhythmen und die wiegenden Bewegungen der Umstehenden lullen uns förmlich ein und ziehen uns mit. Wer Lust hat, zieht sich die Schuhe aus, tritt in das Innere des Kreises und beginnt zu tanzen.
Es gibt keine Choreographie, keine Regeln, jeder für sich in inniger Verbindung mit Allah, und doch durch Rhythmus und Melodie geeint. Der Eine steht still mit geschlossenen Augen, verzückter Miene und ausgebreiteten Armen an Ort und Stelle, ein anderer wirbelt wie wild auf einem Fuß stehend Pirouetten, die Dreadlocks Opfer der Fliehkraft.
Ein paar weitere junge Männer stehen in einem Grüppchen beisammen, wiegen sich singend und monoton zum Rhythmus, vor und zurück, vor und zurück, Elah Illah Allah. Die Trommeln werden langsam lauter und schneller. Im Inneren des Kreises, entlang der Umstehenden schreitet bedächtig ein Mann mit einem Gefäß, das weiße Rauchschwaden verströmt. Wer will, fächelt sich mit der Hand etwas von dem Rauch zu und nimmt einen tiefen Zug. Ich probiere es auch – hat es berauschende Wirkung? Ich kann nichts feststellen. Ohnehin liegt hier auch so genug Ekstase in der Luft.
Immer schneller und lauter schlagen die Männer die Trommeln, immer enthusiastischer wird der Gesang. Man kann gar nicht anders als sich ebenfalls im Takt mitzubewegen. Ich beobachte, wie ein Mann einem anderen um den Hals fällt und hemmungslos zu weinen beginnt. Da scheint aber Allah gerade mal besonders großzügig über einen wohl nicht unerheblichen Fauxpas hinweggesehen zu haben. Wie zur Bestätigung endet mit einem finalen, dröhnenden Schlag das Trommeln, der Gesang verstummt. Langsam löst sich der große Kreis auf. Zum Abschluss der Feier versammeln sich die Anwesenden an einem Ende des Platzes in langen Reihen, um zu beten. Mittlerweile ist es dunkel geworden. Was für ein herrliches Schauspiel und eine intensive, ausgelassene und lockere Atmosphäre!
Abends baue ich mein Zelt im Hof des Hostels auf. Keine Sekunde länger verbringe ich in diesem Zimmer, geschweige denn in diesem widerlichen Bett. Das können die Flöhe von mir aus für sich haben, ich schlafe draußen. Am nächsten Morgen bin ich auf und davon.
Lieber Dominik,
Welch ein Weihnachtsfest!
Erst krank und dann das Fahrrad weg.
Wir denken an Dich und hoffen, dass Du wieder auf den Beinen bist und das Rad vielleicht doch mit großem Glück auf einem Trödelmarkt in Addis Abeba wiederfindest.
Wir drücken Dir die Daumen!
Verliere nicht den Mut, Deine Reise sollte weitergehen.
Lieben Gruß
Regine und Gerhart
Hallo Dominik,
ich weiß in etwa, wo Du Dich gerade befindest und auch über die zurückliegenden Ereignisse ( Malaria etc.) habe ich gehört- zum Glück bist Du ja wieder auf den Beinen und Pedalen!Jetzt hast Du doch sicherlich schon 1/3el Deiner Reise hinter Dir.
Ich wünsche Dir zu Weihnachten, daß Du gesund bleibst, keine schlimmeren Erfahrungen als Flohbisse und schäbige Unterkünfte machen mußt und daß Du durchhältst!!
Welch eine Erfahrung…!
Friedliche, streßfreie Weihnachten und gute Weiterfahrt wünscht Dir
Mecki
Lieber Dominik,
Vorweg: Du deutest ja schon an, dass es sich als etwas schwieriger erweisen könnte, wieder auf die Beine zu kommen und ich habe von Deinem Vater gehört, was Dir zugestoßen ist, hoffe aber sehr, dass Deine Genesung durch die Erholung am Tana-See Fortschritte macht. Die Tatsache, dass Du uns wieder an Deinen Erfahrungen teilhaben lässt, stimmt mich auch zuversichtlich. Um viele Erlebnisse auf Deiner Reise kann man Dich nur beneiden, aber auf die von Dir mit Selbstironie kritisierten hygienischen Verhältnisse, die Scheißegal-Mentalität der Nachtquartier-Betreiber und auf die kleinen Bettgenossen könnte man natürlich getrost verzichten. Nur dann wäre es eben nicht das Land, das Du gerade bereist und das sich mit seinen Menschen so darstellt, wie es ist. Ich habe vor gefühlten 30 Jahren einmal gelesen, dass im Umkreis von 50 km um Khartoum kein Baum mehr stehen sollte, weil die Menschen aus Mangel an Brennmaterial alles abgeholzt hätten. Kannst Du das auch für heute auf Grund Deines Eindrucks bestätigen?
Bei uns werden z. Zt. überall Weihnachtsbäume angeboten und man sieht die Menschen schon mit „eingenetzten“ Tannen herumziehen. Wenn ich mir auch gut vorstellen kann, dass Du Dich gerade um diese Zeit emotional mehr mit Europa verbunden fühlst als mit dem islamischen Kulturkreis, wünsche ich Dir genügend körperliche und mentale Energie sowie ausreichend Luft in den Reifen und Autan in den Packtaschen für die weitere Reise.
In Äthiopien kommt der Schreiseeadler (Kopf, Brust und Schwanz sind weiß – insgesamt mehr Weiß als beim Wappenvogel der USA) vor; vielleicht kannst Du ja einen am Tana-See mit der Kamera erwischen.
Viele Grüße
Renate und Uwe Petersen