Der Balkan, Teil 5: Auf nach Thessaloniki!
Ich hänge ein bisschen hinterher mit den Berichten, aber ich versuche mal die letzten 14 Tage aufzuarbeiten…
Ich habe es nach Thessaloniki geschafft! Einen Tag bevor meine Freundin hier landet. 2700 Kilometer in einem Monat. Die erste Etappe meiner Reise hat mich eins gelehrt: Immer wenn es dir so richtig beschissen geht, passiert irgendwas, das dich wieder aufpeppelt.
03.09.2015, Pishkash Verri – Jankovets, 65 Kilometer
04.09.2015, Jankovtes – Niki, 70 Kilometer
05.09.2015, Niki – Agras, 66 Kilometer
06.09.2015, Agras – Chalkidona, 70 Kilomete
07.09.2015, Chalkidona – Thessaloniki, 35 Kilometer
08.09.2015, Ruhetag in Thessaloniki
Die drei von der Tankstelle
Trotz der außergewöhnlichen Gastfreundschaft in den vergangenen Tagen und besonders an meinem letzten Abend in Albanien, fühle ich mich unendlich einsam. Die spärliche Kommunikation über Whatsapp kann die wegen schlechter Internetverbindung missglückten Skype-Telefonate mit meiner Freundin nicht ersetzen. Für die Daheimgebliebenen mag das lächerlich klingen, aber ich klammere mich an jede noch so kurze Nachricht, einige wenige nette Worte würden mir vielleicht schon über das Tief hinweghelfen. Aber nichts, Funkstille. Ich mache mir nen heißen Kaffee, habe auch noch ein bisschen Yoghurt für’s Müsli. Doch nichts hilft heute. Vielleicht ein bisschen Berge hochfahren, da kann man alles an der Steigung auslassen, sich so auspowern, dass für nichts anderes außer Erschöpfung mehr Platz ist. Das relativiert immer alles ein bisschen. Aber selbst das klappt nicht. Es ist nicht steil genug. Aber was ist das denn da vorne…das ist doch ein anderes bepacktes Fahrrad? Ja, tatsächlich, ein anderer Reise-Radler vor mir auf der Straße. Ich hole auf, ha, ich bin schneller als der. Als ich zu dem anderen Radfahrer aufschließe, entfährt mir ein etwas zu lautes „EEEYYY!!!“, und ich setze anschließend etwas auf, von dem ich denke, man könnte es eventuell ein fröhliches Grinsen nennen. Der morgendliche Gruß ist mir scheinbar doch etwas rabiat geraten, denn der andere zuckt ordentlich zusammen. Ups. „Wo kommst du her?“, will ich wissen. „Spanien, Barcelona“, sagt er. Er heißt Jean-Christian, nennt sich Chris und will nach Istanbul. Dieses Mal, nach ein bisschen Smalltalk, bin ich derjenige, der die Initiative ergreift. Ich brauche dringend Gesellschaft und Ablenkung. „Sollen wir ein Stück zusammen fahren?“, frage ich. Und schon sind wir zu zweit.
Keine halbe Stunde später, wir fahren gerade an einer Tankstelle vorbei, ruft Chris: „Ey, warte mal, warte mal!“, und zeigt in Richtung des Eingangs der Tankstelle. Das gibt’s doch nicht, da steht ein weiterer Fahrrad-Nomade, sein Rad noch schwerer bepackt als meins, ein Barcelona-Trikot leuchtet rot und blau zu uns herüber. Klar, dass das Chris direkt ins Auge springt. Wir biegen also ab und die beiden quasseln erstmal auf Katalan drauflos, sie freuen sich, sich endlich mal wieder in ihrer Muttersprache unterhalten zu können und entschuldigen sich zwischendurch immer wieder bei mir auf Englisch dafür. Kein Problem, ich nehme mir nur vor, den beiden später mal die deutsche Redewendung „Du quasselst wie ein Wasserfall“ beizubringen. An diesem Tag kämpft meine Freundin um den Finaleinzug bei der Ruder-WM in Frankreich, und ich will das gucken, dazu brauche ich WiFi. Hier an der Tanke gibt’s das, und alle haben ohnehin Bock auf Kaffee, also entschließen wir uns, hier eine kleine Pause einzulegen und danach zusammen weiterzufahren. Und schon sind wir zu dritt.
Barca, Barca!!!
Die beiden lebhaften Spanier sind das Beste was mir passieren konnte. Es gibt kaum eine stille Minute, jedes Mal wenn wir „nur kurz“ zum Verschnaufen anhalten entspinnt sich eine Diskussion, die mindestens 20 Minuten dauert. Das Barcelona Trikot, das Ferran ungerührt fünf Tage lang am Stück trägt, ist der absolute Eisbrecher. Alle Naselang schallen uns „Barca, Barca!!!“ und „Messi, Messi!!!“ Rufe von Passanten entgegen. Es wird nie langweilig, und Zeit zum Grübeln habe ich so sicher nicht. Allerdings kommen wir auch nicht wirklich schnell voran. Ich merke schnell, dass sich die Art zu Reisen zwischen uns dreien doch deutlich unterscheidet. Die beiden haben einfach keinen Zeitdruck und können sich treiben lassen. Ich habe ja meine fixe Deadline: Am 09. September landet meine Freundin in Thessaloniki, ebenfalls ein Fahrrad im Gepäck. Wir wollen dann zusammen nach Athen fahren. Dieser Zeitdruck hat mich in den letzten Wochen schon extrem Kraft gekostet. Aber ich weiß ja wofür ich es mache. Und ich find’s einfach toll, dass meine Freundin sich überhaupt den Stress antut. Ich meine, wer von euch würde – bei nur drei Wochen Urlaub im Jahr – extra eine komplette Camping-Ausrüstung und ein Fahrrad organisieren, das Fahrrad auseinanderbauen und in einen Karton packen, damit nach Griechenland fliegen, das Fahrrad dort wieder zusammenbauen, um dann eine Woche mit mir durch die Gegend zu gurken – mit allen Unannehmlichkeiten, die mein Low-Budget Reisestil so mit sich bringen kann – am Ende das Fahrrad wieder auseinander zu bauen, irgendwo nen neuen Transport-Karton dafür aufzutreiben und damit wieder zurückzufliegen? Na? Also.
Jetzt, zusammen mit Chris und Ferran, und da ich merke, dass ich ganz gut in der Zeit bin und ich mich am Ende nicht mehr ganz so stressen muss, lasse ich mich auf den Reisestil der beiden ein. Und das ist auch mal gar nicht schlecht. Wir fahren an keinem Tag mehr als 70 Kilometer, und wenn wir einen guten Platz zum Zelten sehen, bleiben wir auch dort, egal wie viel oder wie wenig wir bis dahin geschafft haben. Das ist schon deutlich entspannter so.
Durch Mazedonien sind wir trotzdem innerhalb von zwei Tagen durch. Von der Flüchtlingsproblematik, die derzeit alles andere aus den Nachrichten verdrängt, kriegen wir hier nichts mit. Die „belagerten“ Grenzübergänge liegen deutlich weiter östlich. Hier ist wirklich nichts los. Die Grenze zu Griechenland überqueren wir am späten Nachmittag. Besonders weit wollen wir heute nicht mehr, denn allzu lange ist es nicht mehr hell. Nur knapp 5 Kilometer hinter dem Grenzübergang geht nach links eine teilweise fertig asphaltierte, teilweise noch im Bau befindliche und deshalb abgesperrte Schnellstraße ab. Hmm…wenn man da reinführe…vielleicht findet man da ein nettes Plätzchen….sieht nicht so aus, als ob da grad wirklich noch gebaut würde. Aber schon sind wir dran vorbei. 50 Meter weiter meint Ferran: „Was war mit der Straße da…?“ „Ja hab ich auch grad gedacht“, sage ich, „komm wir gucken mal!“ Wir schieben die Räder unter der Absperrung durch, durch ein Stückchen Sand und dann sind wir auf dem frischen Asphalt. Baumaschinen sind weit und breit keine zu sehen, hier wird wirklich nicht mehr gearbeitet. Perfekt. Wir fahren noch einen Kilometer weiter die halbfertige Schnellstraße entlang und stellen dann unsere Zelte am Straßenrand auf. Links und rechts Äcker und Felder, in einiger Entfernung ein kleines Dorf, ab und zu hört man von dort einen Hund bellen. Hier haben wir absolut unsere Ruhe. Zum Abendessen gibt es ein spanisches Gericht aus Zwiebeln, Tomaten, einer scharfen Wurst und Erbsen. Eigentlich gehören da Linsen rein, aber die gab’s nicht. Also Erbsen. Auch gut. Und jetzt weiß ich auch warum Ferran’s Rad so unfassbar schwer bepackt ist. Zum einen will er nicht wie ich nur ein Jahr, sondern direkt fünf Jahre unterwegs sein, er will um die ganze Welt. Ok. Aber zum anderen schleppt er auch nen halben Liter Olivenöl, Balsamico-Essig, eine riesige Dose Curry und ein dickes, bestimmt anderthalb Kilo wiegendes Buch über Fotografie mit sich herum. Man muss eben Prioritäten setzen.
Am nächsten Morgen machen wir nach ein paar Kilometern in einem kleinen Dorf Frühstückspause und ordern in einem Café einen Turkish Coffee. Der Ort wirkt wie ausgestorben, in dem Café ist auch nichts los. Erst gegen Ende unserer ausgedehnten Pause, es ist gerade 11 Uhr, kommt ein weiterer Gast und bestellt Bier. Er spricht deutsch, hat 30 Jahre in Deutschland gearbeitet und ist nach seiner Pensionierung in sein Heimatdorf zurückgekehrt. So machen es viele, sagt er. In dem Dorf mit seinen 1000 Einwohnern haben ein Drittel der Leute wenigstens für ein paar Jahre in Deutschland gelebt. Aber, so berichtet er, viele wandern auch ganz aus, nach Australien oder Neuseeland. Viele Häuser stünden hier leer.
Der Ruf eilt mir voraus
Die Zeit vergeht wie im Flug, aber es ist nicht mehr weit, und die Gewissheit, dass ich es nun auf jeden Fall pünktlich nach Thessaloniki schaffen werde, ist eine echte Erleichterung. Am Tag bevor wir die letzte Etappe nach Thessaloniki angehen bekomme ich eine Facebook Nachricht von einem gewissen Nino. Ob ich mich an zwei Polen erinnere, die bei Dubrovnik per Anhalter unterwegs waren? Die hätte er nämlich in einem Hostel in Athen getroffen und sie hätten von mir erzählt. Und er wolle auch mit dem Fahrrad durch Afrika. Unfassbar, was es für Zufälle gibt. Wir vereinbaren, in Kontakt zu bleiben und uns irgendwo auf dem Weg zu treffen.
Am Mittag des 07.09. kommen wir in Thessaloniki an. Die Auswirkungen der Krise sind hier sofort sichtbar. Viele Geschäfte sind geschlossen oder stehen gänzlich leer, einige Stadtteile sind richtig heruntergekommen, obwohl Thessaloniki eigentlich eine quicklebendige Stadt voller Studenten ist. Hier befindet sich mit rund 81.000 Studierenden die größte Universität des Balkans. Wir nähern uns der Innenstadt und dem direkt am Meer gelegenen zentralen Aristoteles-Platz. 1917 wurden rund 65% der Innenstadt durch einen Großbrand zerstört. Anschließend wurde ein Architektenteam mit der Ausarbeitung von Plänen für den Wiederaufbau beauftragt, von denen jedoch u.a. mit dem Aristoteles-Platz und der sich daran anschließenden Fußgängerzone nur ein Bruchteil umgesetzt wurde. Dies sind damit auch zwei der wenigen schöneren Fleckchen des modernen Thessaloniki, inmitten eines Meeres aus größtenteils hässlichen sechs- bis achtstöckigen Wohnhäusern mit breiten Balkons und gammeligen Markisen. Dennoch, nach den dünn besiedelten, ländlichen Gebieten springt hier die pulsierende Lebhaftigkeit dieser Stadt sofort über, ohne dabei stressig zu wirken. Wir trinken noch einmal einen Kaffee zusammen, hier trennen sich unsere Wege. Ferran wird eine Woche in Thessaloniki bleiben, bevor er seine Reise über Istanbul Richtung Asien fortsetzt. Chris fühlt sich fit und unternehmungslustig und will direkt nach Istanbul weiter. „Ich mag Abschiede nicht.“, sagt er, und so machen wir es kurz und schmerzlos. Kurze Umarmungen und gute Wünsche für die Weiterreise und dann geht jeder seines Weges.
Es war eine sehr gute Zeit mit den beiden, und wie immer kam diese Begegnung genau zur rechten Zeit. Aber jetzt bin ich doch auch froh, wieder ein bisschen Zeit für mich zu haben. Ich quartiere mich in einem Hostel oben am Hügel der historischen Altstadt Thessalonikis ein. Den Tag bevor meine Freundin ankommt, muss ich nutzen, um mich und meine Klamotten mal wieder sauber und frisch zu kriegen. Die letzte Dusche ist fünf Tage her. Im Hostel muss ich aber erstmal meine Geschichte erzählen. „Lustig!“, wirft einer der Zuhörer ein, „vor ein paar Tagen hab ich zwei getroffen, die haben auch von einem erzählt, der mit dem Fahrrad nach Afrika will.“ Ich denke natürlich direkt an Nino, meine neue Facebook-Bekanntschaft. „Echt?“, sage ich erstaunt, „ich hab auch von einem gehört, der ähnliche Pläne hat wie ich, wo haben die den denn getroffen, in Athen?“ „Nee, in Dubrovnik, glaub ich.“, antwortet er. So langsam dämmert’s mir: „Waren die zufällig mit nem Tandem unterwegs?“ „Ja genau, woher weißt du das?“ Ich lache: „Na, die haben dir wohl von mir erzählt!“
Hallo Dominik,
Ich kann dich sehr gut nachvollziehen wenn dich die Einsamkeit plagt… die momente fand ich auch immer die Schwersten, aber es ist erstaunlich wie sehr der Mensch sich nach anderen Menschen sehnen kann und in diesem Moment alles dafür tut um mit diesen in Kontakt zu treten 😉 Und wiederum können so wahnsinns Freundschaften entstehen, auch wenn diese nur kurz und sehr intensiv sind 😀
Sooo genug der klugen Worte, ich finds weiterhin super was du machst und die Erfahrungen sind unersetzbar.
LG Timo
Ich verschlinge ebenfalls jeden neuen Bericht sofort 🙂
Bei „Die letzte Dusche ist 5 Tage her“ lief mir allerdings ein kleiner Schauer über den Rücken….
Weiterhin: Hals und Beinbruch!
„Na, die haben dir wohl von mir erzählt!“ – Hut ab!!
Hallo Dominik, liebe Grüße aus Bottrop. Gespannt verfolge ich deine Berichte und bewundere deinen Mut ein solches Abenteuer einzugehen. Unsere Gedanken sind bei dir und hoffentlich hast du noch viele schöne Erlebnisse. Ich bin davon überzeugt, einer schaut dir aus dem Himmel zu und wäre gern mit dir ein Stück mit dem Rad gefahren. Pass auf dich auf und allzeit gute Fahrt Liebe Grüße Bärbel
Hi Dominik,
wie immer: Super zu lesen, Deine Reisestorys! Schön dass es Dir soweit gut geht, wenn man tagelang gar nichts hört, macht man sich ja schon ein wenig Gedanken, ob alles ok ist mit Dir. Weiterhin gute Fahrt!!