Griechenland, Teil 1

Griechenland, Teil 1

Griechenland, Teil 1

Die Strecke von Thessaloniki nach Athen fahre ich zusammen mit meiner Freundin. Wir verbringen eine schöne Zeit, leider getrübt durch sehr traurige Nachrichten. Ich fliege zurück nach Deutschland.

09.09.2015, Thessaloniki – Katerini, 45 Kilometer
10.09.2015, Katerini – Platamon, 42 Kilometer
11.09.2015, Platamon – Melissa, 90 Kilometer
12.09.2015, Melissa – Nea Anchialos, 71 Kilometer

Merkel loves you

Am Morgen des 09. Septembers mache ich mich früh auf in Richtung Flughafen, um dort meine Freundin abzuholen. Ich will auf keinen Fall zu spät kommen, bin irgendwie aufgeregt. Wie wird es sein, wenn wir uns nach einem Monat jetzt wieder sehen? Außerdem: Bisher haben wir nie mehr als zwei Tage am Stück zusammen verbracht. Und nun direkt anderthalb Wochen? Ich hoffe wir gehen uns nicht gegenseitig auf den Keks.

Ich fahre noch einmal die lange Fußgängerzone hinunter, vorbei an den vielen kleinen Cafés, bei denen bereits jetzt gut Betrieb ist und die vorwiegend jungen Gäste draußen auf Klappstühlen sitzend ihren Frappe, einen Eiskaffee aus Nescafe Instant-Kaffee, schlürfen. Fürchterlich, das Zeug. Ich verstehe nicht, wie die sich das hier literweise reinpfeifen können. Es gibt doch auch Vernünftiges: Espresso, Turkish…ähhh Entschuldigung, Greek Coffee, und so weiter. Naja, jedem das Seine.
Am Aristoteles-Platz angekommen fahre ich ein Stück die Uferpromenade entlang, in meinem Rücken liegt in einiger Entfernung der Hafen. Thessaloniki ist nicht nur aufgrund der großen Bildungseinrichtungen, sondern auch mit bedeutender Lebensmittel-, Möbel-, Solar- und Erdölindustrie, als Standort für Fernsehsender und zahlreiche staatliche Museen, und nicht zuletzt als Verkehrsknotenpunkt, wirtschaftliches und kulturelles Zentrum der griechischen Region Makedonien. Dennoch sind auch hier die Auswirkungen der Krise deutlich spürbar. Ein großes Problem ist dabei der ausgeprägte Zentralismus in Griechenland. Städte und Gemeinden bekommen Gelder aus Steuereinahmen ausschließlich von Athen zugewiesen. George, ein Student, mit dem ich mich am Vorabend unterhalten hatte, drückt sich sehr vorsichtig aus. Er sagt, dass die Verteilung dieser Gelder in der Vergangenheit alles andere als ausgeglichen erfolgte. Und noch nicht einmal der international bedeutende Frachthafen in Thessaloniki kann von der Stadt selbst verwaltet werden. Kein Wunder also, dass die kleineren Städte keine besonders große Motivation haben, sich um Steuern zu kümmern. Die gesprayte Message auf einem Stromkasten, an dem ich in diesem Moment vorbeifahre, liest sich ja zunächst absolut beruhigend und versöhnlich, aber ob allein Frau Merkel’s Zuneigung da tatsächlich weiterhilft…?

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Endlich zu zweit

Überpünktlich am Flughafen angekommen verquatsche ich mich erstmal mit einem netten Mitarbeiter vom Tourist Office. Eigentlich wollte ich nur kurz ne Karte organisieren. Als ich endlich in die Ankommerhalle eile, wartet Kathrin dort schon auf mich. So war das eigentlich nicht geplant. Es ist tatsächlich anfangs ein kleines bisschen komisch, sie nach einem Monat wieder zu sehen, aber das Gefühl verschwindet schnell. Ich freue mich einfach total. Zusammen bauen wir ihr Fahrrad auf, und mein neuer Freund vom Tourist Office hilft bei der Entsorgung des riesigen Kartons. Kathrin hat jede Menge Leckereien mitgebracht, Schwarzbrot, Schinken, Erdnussbutter. Wir sind auf jeden Fall erstmal versorgt.

Auf dem Weg vom Flughafen zurück nach Thessaloniki zeigt sich, dass scheinbar sonst seltenst jemand auf die Idee kommt, mit dem Fahrrad zum Airport zu fahren. Es gibt eine große, dreispurige Schnellstraße und sonst nix. Bei der ersten Möglichkeit nach ca. 10 Kilometern verlassen wir die Schnellstraße und suchen uns einen Weg durch das Einbahnstraßengewirr zurück zur Uferpromenade. In der Innenstadt angekommen, machen wir noch einmal kurz halt am Aristotelesplatz, wo gerade von einer kleinen Gruppe Breakdance Kunststückchen aufgeführt werden. Wir wollen heute noch weiter, ein Stück mit dem Zug aus Thessaloniki heraus, weil man uns gesagt hat, dass der Streckenabschnitt zwischen Thessaloniki und Katerini nicht besonders schön sein soll. Also machen wir uns zeitig auf zum Bahnhof. Der Tipp, hier ein bisschen abzukürzen, scheint sinnvoll gewesen zu sein, der Ausblick aus dem Zug heraus ist tatsächlich nicht sehr einladend. Außerhalb von Thessaloniki viel Industrie, irgendwann langweilige Felder. Als wir in Katerini ankommen regnet es. Das Zelt, was Kathrin noch mitgebracht hat, weil meines für uns zwei plus Gepäck zu klein ist, stellen wir fünf Kilometer außerhalb von Katerini auf einem Acker auf. Unsere erste gemeinsame Nacht im Zelt. Unsere erste gemeinsame, völlig verregnete Nacht im Zelt. Unsere erste gemeinsame, völlig verregnete Nacht im undichten Zelt. Naja, nach Regen kommt auch Sonnenschein, sagt man ja.

Aber nicht am nächsten Morgen. Tiefhängende graue Wolken versperren den Blick auf das, was vor uns liegt. Wir wollen am Olymp vorbei, dem Berg auf dem die Götter wohnen. Aber erstmal müssen wir noch ein paar kleinere Sachen an Kathrins Fahrrad in Ordnung bringen. Die Bremsen schleifen und beide Laufräder haben eine leichte Acht. Das war doch gestern noch nicht so?! Während wir das Fahrrad auf den Kopf stellen und ich die Speichen inspiziere, hält ein Mountainbiker neben uns und fragt, ob wir Hilfe bräuchten. „Wenn du n Laufrad ordentlich zentrieren kannst, dann ja“ sage ich. Das Vorderrad habe ich schon einigermaßen wieder hinbekommen, nur die Bremsklötze der Hydraulikbremse sitzen irgendwie komisch schief. Ich widme mich dem Hinterrad und überlasse Vorderrad und Bremse dem anderen Radler, vielleicht hat er ja Plan. Ich stelle fest, dass am Hinterrad einige Speichen richtig locker sind. Nicht gut. Währenddessen fummelt der andere vorne an der Bremse rum und schraubt nun auch wieder an den Speichen. Moment, Moment, das hatte ich doch grad schon in Ordnung gebracht! Nach einigem planlos wirkendem Gefrickel, richtet sich der Mountainbiker auf, sagt „Naja, ich bin kein Mechaniker, fahrt mal zurück nach Katerini zu nem Radladen!“, und schwingt sich wieder auf sein Rad. Na vielen Dank auch, dann lass doch die Finger davon, denke ich. Nett, dass er helfen will, aber wenn er’s nicht kann, soll er’s lieber lassen. Jetzt hat das Vorderrad wieder ne Acht, toll. Ich schnappe mir den Speichenschlüssel und nach einer viertel Stunde habe ich beide Räder zumindest wieder soweit fit, dass sie einigermaßen rund laufen, die Speichen nicht mehr so locker sind und die Bremsen nicht schleifen. Jetzt kann es endlich losgehen.

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Traurige Nachricht

Die Götter wollen heute nicht so richtig, sie verstecken sich und ihren Berg den ganzen Tag hinter dicken Wolken. Wir bekommen den Olymp nicht ein einziges Mal zu Gesicht. Dafür reißt am Ende des Tages, als wir wieder zur Küste kommen, die Wolkendecke langsam auf und wir steuern einen Campingplatz direkt am Meer an. Mein Handy habe ich die ganze Zeit im Flugmodus, was soll ich auch damit, zieht nur zuviel Strom. Internet habe ich grad eh nicht, und navigieren kann ich offline mit auf dem Smartphone gespeicherten Karten. Allerdings kriege ich so auch nix mit. Wir springen kurz ins Meer, kochen uns was Leckeres und fallen anschließend erschöpft auf unsere Schlafmatten.

Am nächsten Morgen, Kathrin ist online, hat sie eine Mail von meiner Mutter im Postfach, ich solle unbedingt mal anrufen. Scheinbar wurde schon vergeblich versucht, mich zu erreichen. Das heißt nichts Gutes, und eigentlich weiß ich schon worum es geht, als ich das lese. Meine Mutter überbringt die traurige Nachricht: Mein Opa ist tot. Er hatte Krebs, aber eigentlich hatten die Ärzte ihm noch zwei Jahre gegeben. Der Zeitpunkt kommt für alle völlig überraschend.

Dass Kathrin gerade jetzt bei mir ist, hilft sehr. Allein wäre das richtig beschissen. Wir überlegen hin und her, was wir jetzt machen können. Relativ schnell ist klar: Ich will auf jeden Fall zurück nach Deutschland, aber pünktlich zur Beerdigung werde ich es nicht schaffen. Die Flüge von Athen gehen nur alle zwei Tage, und selbst wenn wir es zwei Tage früher als geplant nach Athen schaffen sollten, will ich Kathrin nicht hier alleine zurücklassen, denn ihr Rückflug ist natürlich schon längst gebucht. Ich werde also am 17.09. mit zurück nach Deutschland fliegen, so kann ich wenigstens noch ein paar Tage bei meiner Oma sein. Mein Fahrrad und das ganze Gepäck kann ich netterweise in einem Hostel lassen, wo wir schon vor einiger Zeit ein Zimmer für die letzte Nacht in Athen gebucht hatten.

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Verdächtiges Grün

An diesem Tag fahren wir erst noch ein Stück an der Küste entlang, um dann wieder etwas ins Binnenland abzubiegen und durch größtenteils flaches Gelände die Hafenstadt Volos anzupeilen. Kathrin ist begeistert von den zahlreichen Feigenbäumen, die hier den Weg säumen. Nach Lust und Laune kann man sich bedienen. Der Ausschuss bei den wild wachsenden Feigen ist allerdings recht hoch. Viele sind noch nicht reif, manche wiederum schon gegoren, andere von Würmern zerfressen. Aber dennoch findet man oft genug herrlich süß schmeckende Früchte, die hervorragend als kleiner Pausen-Snack dienen. Am späten Nachmittag kämpfen wir auf der endlos langen, schnurgeraden Landstraße Richtung Volos mit dem Gegenwind. Oder besser gesagt: Ich kämpfe. Kathrin fährt mir locker davon. Trotzdem haben wir beide so langsam für heute genug, sind immerhin schon 90 Kilometer gefahren. Und bis Volos sind es noch mindestens 35, das schaffen wir eh nicht mehr. Also biegen wir bei der nächsten Gelegenheit von der großen Landstraße in Richtung eines kleinen Dörfchens ab. Wir suchen nach einer Einkaufsmöglichkeit und einem Schlafplatz. Die zwei Jungs in einem schwarzen Pickup, die wir ansprechen, eskortieren uns zu einer Bar, deren Besitzerin nebenan auch einen kleinen Tante-Emma-Laden betreibt. Sicherlich wäre sie über diese Bezeichnung wenig begeistert, denn selbstverständlich ist ihr Laden ein ausgewachsener Supermarkt…zumindest wird er uns so angepriesen. Auf jeden Fall ist es der teuerste Supermarkt, in dem ich je die Freude hatte, einzukaufen. Für ein bisschen Yoghurt, ein paar Süßigkeiten, zwei Flaschen Wasser und eine seit einem Jahr abgelaufene Dose Baked Beans bezahlen wir 15 Euro. Tja, Pech gehabt, sonst gibt’s hier halt nichts. Dafür werden uns reichlich Übernachtungsmöglichkeiten angeboten. Bei einem der Jungs aus dem Pickup können wir auf seinem Feld unser Zelt aufstellen. Oder auch auf einem kleinen Platz um die Ecke. Oder hier drüben, da gibt es einen kleinen Park. Ich frage extra noch mal nach, weil Wildzelten in Griechenland illegal und mit hohen Strafen belegt ist. 300 Euro und eine Nacht Knast, wenn die Bullen nen schlechten Tag haben. „Nein, nein“, beteuert man, „hier wird niemand was sagen!“ Na gut, dann nehmen wir den Park. Schön grün hier, das Zelt wird zwischen ein paar Bäumen aufgestellt, beim Abendessen werden wir von einer Gruppe Kinder beobachtet, die irgendwann die Zurückhaltung ablegen und immer wieder ein lautes „Helloooo“ zu uns herüber rufen.

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Nachts schrecke ich plötzlich hoch, meine Füße sind plötzlich kalt, nee nicht nur kalt, nass! Klitschnass!!! Ein Schwall Wasser prasselt durch das Moskitonetz am Eingang ins Zelt. Ach du Kacke, was ist das denn?! Spielt uns da irgendwer nen schlechten Streich und spritzt hier mit nem Gartenschlauch Wasser ins Zelt? Kathrin pennt ungerührt weiter. Ich rüttele sie wach. Der Wasserschwall ist weg, aber man hört weiter das Prasseln. Oder sind das Rasensprenger? Kathrin guckt vorne aus dem Zelt, tatsächlich Rasensprenger, einer davon genau in unserem Vorzelt. Und der dreht sich. Nur noch ein paar Sekunden, dann kriegen wir hier die nächste Dusche. Ich versuche den bisher im Gras versteckten und jetzt ausgefahrenen zylinderförmigen Rasensprengerkopf festzuhalten, an der Drehung zu hindern und Zeit zum Überlegen zu gewinnen. Was machen wir jetzt mit dem Ding? Das Teil hat richtig Power, lange festhalten kann ich das nicht. Genau in dem Moment sehe ich meine Tasse noch vom Abend lose im Vorzelt herumliegen. Ich stülpe die Tasse über den Rasensprenger und lasse vorsichtig los…sie hält! Man kann sich jetzt darüber streiten ob wir unfassbares Pech hatten, so eine bescheuerte Wiese mit versteckten Rasensprengern als Zeltplatz zu erwischen, oder unfassbares Glück, dass dieser eine Rasensprenger nur im Vorzelt und nicht direkt unter dem Zelt selber ist. Wie dem auch sei, im Vorzelt bildet sich langsam aber sicher ein stattlicher See, im Zelt ist alles nass, und von außen wird selbiges noch eine knappe Stunde lang von den restlichen Rasensprengern bearbeitet. An Schlaf ist nicht zu denken. Unsere Laune am nächsten Morgen ist entsprechend verbesserungsbedürftig. Trotzdem, wir schwingen uns auf die Räder, in Volos angekommen, und nach einem guten Essen, beschließen wir, noch weiter zu fahren und uns in einem günstigen Hotel einzuquartieren. Das haben wir uns verdient.

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2 Gedanken zu “Griechenland, Teil 1”

  1. Lieber Dominik,
    das ist wirklich eine traurige Nachricht, die Dich während der schönen Zeit mit Deiner Freundin erreichte. Ich bin sicher, dass es für Deine Oma ein starker Trost war, dass Du Deine Reise unterbrochen hast und für einige Tage zur Familie zurückgekehrt bist. Ich wünsche Dir für Deine Tour weitere interessante Begegnungen. Ein alter Freund von mir lebte nach einem Motto seines Vaters, das er häufiger zitierte: „Jungs, schafft euch Erinnerungen!“ Du machst es mit Deiner Reise.
    Weiterhin gute Fahrt wünschen Renate und Uwe Petersen.

  2. Hi Dominik,

    tut mir superleid mit Deinem Opa, das ist traurig. Ich kann´s gut nachempfinden, weil mein Vater vor kurzem gestorben ist. Aber – auch wenn es vielleicht nur ein schwacher Trost ist und ich nicht weiss woran Du glaubst – vielleicht ist er Dir jetzt näher als Du denkst und wird an Deiner Reise teilhaben. So wie wir hier vor den Computerbildschirmen, die immer gebannt und gespannt sind auf Deine Reiseberichte….was hab ich mich gerade über den Rasensprenger kaputtgelacht! Na ja, wenn man selber trocken bleibt….
    Danke übrigens auch für die immer sehr schönen Fotos, das ist besser als TerraX 🙂

    Ich wünsche Dir weiterhin eine aufregende Reise, gib den Pedalen Zündstoff!

    Ich berichte übrigens allen möglichen Verwandten und Bekannten von Deiner Seite…alle sind fasziniert!!!

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