Griechenland, Teil 2
Auf unserer letzten gemeinsamen Etappe, bevor Kathrin und ich nach Deutschland zurück fliegen, erleben wir die Gegensätze zwischen den sehr dünn besiedelten ländlichen Regionen und der Metropole Athen…
13.09.2015, Nea Anchialos – Plakes, 92 Kilometer
14.09.2015, Plakes – Lamia, 35 Kilometer
15.09.2015, Lamia – Athen, Zug
16.09.2015, Athen, Ruhetag
17.09.2015, Rückflug nach Deutschland
Strahlen trotz Strahlen
In Nea Anchialos ist das erste Hotel, was wir kontaktieren, ausgebucht, aber der Inhaber schickt uns weiter zum nächsten, das wird nämlich von seinem Bruder geführt. Ich habe Bock auf Fisch und wir fragen den Bruder, ob er uns ein Restaurant empfehlen kann. Er schickt uns zwei Ecken weiter, wahrscheinlich zu einem Cousin oder so. Ich ordere experimentierfreudig Ray-Fish, keine Ahnung was das ist, wird schon schmecken. Als ich den Ray-Fisch serviert bekomme, merke ich schnell, wo der Name herkommt. Die langen, flexiblen und außergewöhnlich dicken Gräten verlaufen wie Strahlen längs durch die Filet-Stücke. Ganz ehrlich, dieses Viech besteht mehr aus Gräten als aus Fleisch. Warum isst man sowas? Naja, kein Problem, es gibt ja auch noch andere Sachen im Programm, die man noch schnell hinterher schieben kann, z.B. einen Auflauf mit Auberginen und Schinken und viel Käse. Da kann auch ich wieder strahlen.
Der nächste Tag beschert uns viel Sonne und eine wunderbare Etappe durch bergiges, aber sehr idyllisches Terrain. Wir durchqueren zwei oder drei winzige Dörfer, die aus vielleicht zehn Häusern bestehen, dazwischen ist meilenweit nur völlige Abgeschiedenheit. Am Straßenrand liegen jede Menge leere Schrotgewehr-Patronenhülsen. Worauf die hier wohl ballern? Nur auf Straßenschilder jedenfalls nicht, die sehen größtenteils verhältnismäßig intakt aus. Ab und zu wird die auf meiner Karte als Hauptverbindungsroute eingezeichnete Straße eher zu einem kleinen Schotterweg, und wir fragen uns, ob wir überhaupt noch richtig sind. Unsere Wasservorräte gehen so langsam zur Neige, alle meine Flaschen sind leer. Ich habe nur noch den Wassersack hinten auf dem Gepäckträger, aber das Wasser schmeckt scheußlich nach Plastik. Kathrin macht das nichts aus. „Besser als kein Wasser“ sagt sie und amüsiert sich darüber, dass ich fast Brechreiz davon bekomme. Kurze Zeit später kommen wir an einer Trinkwasserstelle vorbei. Das Wasser, was dauerhaft aus dem Hahn in einen Bottich läuft und dann wer weiß wohin versickert, schmeckt herrlich kühl und frisch. Bimmelnd und Glöckchen läutend kündigt sich eine kleine Ziegen- und Schafherde an, die von einer kleinen, runzeligen Bäuerin unter tatkräftiger Unterstützung ihrer zwei Hunde den Hang hinunter über die Straße getrieben wird. Wir grüßen, lächeln, die Bäuerin lächelt zurück und fragt etwas. In der Regel wollen die Leute immer als erstes wissen, wo wir herkommen, also antwortet Kathrin „Germany!“, auch wenn wir kein Wort von dem, was die Bäuerin sagt, verstehen.
Das, was bei uns Weinberge wären, sind hier Olivenbaum-Plantagen. Auf den unserer Straße gegenüberliegenden Hängen erkennt man die im regelmäßigen Raster angepflanzten Bäume. Wir stoppen zwischendurch, um ein paar Oliven zu sammeln, Kathrin will zu Hause versuchen, sie einzulegen. Am Nachmittag kommen wir das erste Mal wieder in ein etwas größeres Dorf, in dem es einen kleinen Supermarkt gibt. Ich lechze nach einer Cola, wie so oft in letzter Zeit an sehr heißen Tagen, dazu noch ein Eis. Kathrin schüttelt mittlerweile den Kopf über meinen Süßigkeiten-Konsum. Ich bin aber auch wirklich ein richtiger Zucker-Junkie geworden.
Dinner am Meer
Nach dem Dorf geht es abwärts, konstant. Auf Google-Maps ist kurz vor Stilida ein Campingplatz verzeichnet, den müssten wir heute noch erreichen können. Auf der Papierkarte, die ich im Tourist-Office am Flughafen besorgt hatte, ist dieser Camping-Platz zwar nicht drauf, aber das muss ja nichts heißen. Der Weg zieht sich zum Ende hin dann doch noch mal ewig. Ich dachte der Campingplatz wäre schon hier, in dieser Bucht, aber dann ist es wohl doch die nächste. Gleich müssten wir da sein. Wir fahren herunter zur Küste, und tatsächlich, dort ist auch der Campingplatz ausgeschildert. Schon von weitem erkennt man allerdings: Das war vielleicht mal ein Campingplatz. Das Tor verrammelt, das Rezeptionshäuschen völlig verfallen. Hier ist bestimmt seit Jahren kein Betrieb mehr. „Was machen wir jetzt“, überlegen wir, „fahren wir weiter oder stellen wir unser Zelt hier irgendwo auf?“ In einiger Entfernung, direkt am Meer, sehen wir ein paar Häuschen, eine schmale Straße scheint dorthin zu führen. Schauen wir doch mal, wie es da aussieht. Die Häuser sehen ganz adrett aus, frisch gestrichen und mit gepflegten Gärten, in denen hier und dort noch jemand arbeitet. Ein eher seltenes Bild, und gerade hier in dieser Einöde und im absoluten Kontrast zu dem vor sich hin gammelnden Campingplatz hätte ich das so nicht erwartet. Wir fahren bis hinunter an den Strand und bis ans Ende des parallel dazu verlaufenden Weges, bis zum letzten der Häuser, die sich dort nebeneinander mit Blick aufs Meer aufreihen. Beim letzten Haus sind alle Fensterläden dicht, sieht eher wie ein Ferienhaus aus, was gerade nicht bewohnt wird. Allerdings steht ein Wagen in der Einfahrt. Wir machen uns mit Rufen bemerkbar, keine Antwort. Auf gut Glück drücke ich die Klingel, wieder nichts. Doch, da, nun rührt sich was, im ersten Stock wird einer der Fensterläden halb aufgeschoben und ein älterer Herr schaut etwas mürrisch durch den Spalt. Ich rufe herüber, auf Englisch, wir wären mit Fahrrad und Zelt unterwegs und ob wir hier neben dem Weg übernachten könnten. Die Reaktion fällt immer noch mürrisch, aber seinem Nicken nach zustimmend aus, es scheint ihn nicht wirklich zu interessieren. Hier ist es ganz nett, direkt am Meer, weit weg von der großen Straße, und da unser Nachbar für diese Nacht nichts dagegen zu haben scheint, bleiben wir hier. Nebenan arbeitet noch jemand im Garten, dort gehe ich hinüber und frage nach Wasser. Bereitwillig werden der Wassersack und die Trinkflaschen aufgefüllt, außerdem bekomme ich den Tipp, dass ein Stückchen weiter den Strand runter eine öffentliche Dusche zu finden ist. Na astrein, was wollen wir mehr.
Während ich das Zelt aufbaue und Kathrin schon das Abendessen zubereitet, kommt die Frau unseres mürrischen Nachbars nach Hause. Ebenfalls mit dem Fahrrad. Im Korb am Lenker liegen ein paar frisch gepflückte Feigen, von denen wir prompt welche mit einem aufmunternden Lächeln angeboten bekommen. Später kommt auch noch ihr Mann dazu, gar nicht mehr schlecht gelaunt. Wahrscheinlich hatten wir ihn vorher nur bei der Siesta gestört. Nicht dass wir nicht schon rundum versorgt wären, trotzdem bekommen wir jetzt sogar noch zwei Dosen Bier und eine Gurke aus dem eigenen Garten spendiert. Unser Abendessen verspeisen wir am Meer, während die Sonne am Ufer der gegenüberliegenden Insel langsam hinter den dicht bewaldeten Bergen verschwindet. In der nächsten Bucht sieht man jetzt die Lichter der Stadt Stilida, etwa 10 Kilometer entfernt. Jetzt, wo es dunkel ist, haben sich auch die letzten Badenden in Ihre Häuser oder Gärten verzogen, der Strand liegt verlassen im Mondlicht und wir können ungestört duschen. Nur zwei kleine Katzen gucken uns dabei zu.
Am nächsten Tag fahren wir bis nach Lamia, es ist nicht mehr weit bis dahin, und so kommen wir schon am frühen Nachmittag dort an. Erstmal schieben wir die Räder ein bisschen durch die engen Gässchen, es gibt viele Geschäfte, Bars und Cafés und es herrscht eine lebendige Atmosphäre. Wir gönnen uns einen richtigen Kaffee. Keinen Nescafe, versteht sich. Bis Athen sind es noch 250 km, in drei Tagen geht unser Flug, und wir müssen in Athen auch noch den Fahrradkarton organisieren und Kathrins Rad wieder flugfertig verpacken. Das schaffen wir so nicht, also werden wir ein Stück mit dem Zug abkürzen müssen. Von Lamia können wir über Leianokladi direkt nach Athen fahren, und so entscheiden wir uns, den radelnderweise verbrachten Teil unserer Tour hier zu beenden. So haben wir noch anderthalb Tage Zeit in Athen und können dort noch etwas sehen. Wir fahren also zum Bahnhof und erstehen dort nach einigen Verständigungsschwierigkeiten die hoffentlich richtigen Tickets für den nächsten Tag.
Eine Zugfahrt, die ist lustig
Am Bahnsteig befragen wir am nächsten Morgen zwei andere englisch sprechende Reisende, denn wir haben beim Ticketkauf nicht ganz herausfinden können, ob wir nun in Leianokladi umsteigen müssen oder im selben Zug sitzen bleiben können. Die zwei Mädels wissen es auch nicht, aber ein junger, schmächtiger Typ hat unsere Frage mitbekommen und hilft uns zuvorkommend weiter. Vasili studiert in Athen Informatik und fährt ebenfalls dorthin. Wir müssen umsteigen, erklärt er uns, von der Bimmelbahn in einen Intercity. Aber ob da unsere Räder mitgenommen werden, da hat er Bedenken. Ich hatte der Tante am Ticketschalter eigentlich unmissverständlich deutlich gemacht, dass wir die Fahrräder mitnehmen müssen, und darauf keinen Widerspruch erhalten. Naja egal, unsere Räder müssen in diesen Zug. Das kriegen wir schon hin.
Als wir in Leianokladi am Bahnsteig warten, kommt eine Frau zu uns herübergeeilt und fragt uns, ob wir Tickets für die Fahrräder hätten. Wieso das denn? Im Zug von Thessaloniki aus brauchten wir auch keine extra Tickets. Und in Lamia hatte man uns auch nichts davon gesagt. Die Frau bedeutet mir mitzukommen. Wenigstens spricht sie ein paar Worte Englisch. Ich folge ihr ins Bahnhofsgebäude und sie verschwindet im Ticketschalter. Ok, tatsächlich eine Bahnmitarbeiterin, das war auf Anhieb so nicht zu erkennen. Na dann wird das wohl seine Richtigkeit haben. 10 Euro kosten die beiden Tickets zusammen und unsere Fahrräder bekommen Gepäckaufkleber mit einer Tracking-Nummer an den Lenker. Vasili, der nicht mehr von unserer Seite weicht, macht sich darüber lustig. „Als ob die da im Zweifelsfall irgendwas nachverfolgen könnten…“ lacht er. Wenigstens ist jetzt klar, dass wir nicht ohne unsere Drahtesel nach Athen fahren müssen. Als der Zug kommt, hieven wir unsere Räder in den Gepäck-Waggon. Von irgendwoher kommen helfende Hände, allein hätten wir es nicht geschafft, meine 55 kg Fuhre über die brusthohe Ladekante zu wuchten.
In Athen checken wir erst einmal im Hostel ein, werden herzlich begrüßt, bekommen Wasser und ein paar Kekse angeboten und das Zimmer gezeigt. Das Hostel „Athens Quinta“ ist wirklich schön. Klein und persönlich, urig und liebevoll eingerichtet, mit sehr hohen Decken, kleinen Lämpchen mit gläsernem Schirm auf dem Nachttisch, und uralten aber gemütlichen Polstersesseln im Flur und im Aufenthaltsraum. Wir teilen uns für diese Nacht ein Vierbettzimmer mit einem anderen deutschen Pärchen. Unsere Räder können wir im Innenhof lassen, wo mein Rad auch die nächsten Tage hoffentlich ruhig und ungestört sein Dasein fristen wird, bis ich aus Deutschland wiederkomme.
Nur Weihnachts-Karten
Nachmittags schauen wir uns das alte Olympia-Stadion an, das Ende des 19. Jahrhunderts als Rekonstruktion auf den Fundamenten des antiken Stadions gebaut wurde und 1896 Schauplatz der ersten Olympischen Spiele der Neuzeit war. Zuletzt bei den Olympischen Sommerspielen, die 2004 in Athen stattfanden, war das alte Olympia-Stadion Ziel der Marathonläufe. Auch nach dem grandiosen Sieg der Griechen in der Fußball-EM 2004 wurde die Nationalmannschaft hier triumphal empfangen. Die Tribünen des Stadions, das, obwohl es zu einer der Schmalseiten hin offen ist, rund 50.000 Zuschauer fasst, sind komplett aus Marmor erbaut. Heute würde man das vielleicht nicht mehr so machen. Sieht zwar toll aus, ist aber unpraktisch, weil ziemlich rutschig, sogar wenn’s trocken ist. Vielleicht ist das auch der Grund dafür, dass für heutige Veranstaltungen extrem strenge Auflagen hinsichtlich der Zuschauerzahlen gelten, weshalb es für die meisten Veranstalter in der Regel unwirtschaftlich ist, hier Events stattfinden zu lassen. So bleibt das Stadion, außer als Touristen-Attraktion, bis auf wenige Ausnahmen ungenutzt. Schade. Eigentlich ne coole Location. Könnte mir vorstellen, hier mal mit meiner Band zu spielen. Vielleicht lohnt es sich aber auch deshalb nicht, weil einfach keine Sau dieses Stadion findet. Vom zentral gelegenen, idyllischen National Garden kommend, irren wir bestimmt eine Stunde durch die Gegend, bis wir einmal um einen großen Hügel herumgelaufen sind und endlich den Eingang zum Stadion finden. Unsere Odyssee hat zumindest den Vorteil, dass wir zwischendurch zufällig einen Fahrrad-Laden entdecken. Wir nutzen die Gelegenheit und fragen, ob die da Fahrrad-Kartons haben. Der bärtige Inhaber nickt. „Wir brauchen nur einen, gibst du den so ab, oder willste dafür was haben?“, frage ich ihn. „Klar will ich dafür was haben, ne Weihnachts-Karte!“, antwortet er, und bittet uns, am morgigen Tag wieder zu kommen, um den Karton abzuholen. Als ich ihm ankündige, diese Karte käme dann wahrscheinlich aus dem Sudan, zuckt er nur mit den Schultern und grinst. Ok, also eine weitere Adresse in meiner „Kartei“, neben den mittlerweile zahlreichen Leuten, die spontan mit Rat, Tat oder Sachspende meine Unternehmung ein Stück weit Richtung erfolgreicher Durchführung vorangetrieben haben.
Am nächsten Tag machen wir eine kleine Tour durch Athen, über den großen Markt, die Akropolis und Plaka, die historische Altstadt Athens, die mittlerweile leider zu einer Touri-Meile verkommen ist. Abends besorgen wir uns noch ein paar Leckereien für ein kleines Picknick und klettern einen Hügel nahe unserem Hostel hinauf. Der Blick über Athen während des Sonnenuntergangs dort wurde uns angepriesen und ist in der Tat sehenswert. Dies ist vorerst unser letzter gemeinsamer Abend, am nächsten Morgen fliegen wir zusammen zurück nach Deutschland.
Lieber Dominik!
Ein sehr schönes Foto von Euch im Olympiastadion mit Symbolgehalt: es drückt unbedingt die Zuversicht aus, dass Ihr die Ziele, die Ihr Euch gesetzt habt, auch erreichen werdet. Weiter so! Wir wünschen Dir eine gute Entscheidung für die Weiterführung Deiner Reise.
Viele Grüße
Renate und Uwe Petersen